Therapie

Symbolbild Medikamente

Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten, Multiple Sklerose zu therapieren, um die Erkrankung zu stoppen und Beschwerden, die den Alltag beeinträchtigen, zu lindern. Die Entscheidung, welche Substanz bei der Intervalltherapie individuell zum Einsatz kommt, ist Teil der ärztlichen Beratung und hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit.

> ECTRIMS/EAN Guideline on the pharmacological treatment of people with multiple sclerosis, first Published January 20, 2018

Schubtherapie

Der akute Schub sollte in der Regel mit Kortison behandelt werden. In den meisten MS-Zentren gilt die intravenöse Therapie mit1 Gramm Methylprednisolon über drei bis fünf Tage als optimal. Die Nebenwirkungen einer kurzzeitigen Therapie mit hochdosiertem Methylprednisolon sind moderat. Neben einer schlechten Magenverträglichkeit (der durch Medikamente vorgebeugt werden kann) treten manchmal Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und ein metallischer Geschmack im Mund auf. Gefürchtete Kortison-Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, Abnahme der Knochendichte und Hautveränderungen treten nur im Rahmen einer Langzeittherapie auf.

Intervalltherapie

Das Ziel medikamentöser Behandlung bei MS ist, das Immunsystem so zu verändern, dass Entzündungen im Gehirn erst gar nicht entstehen. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Medikamenten mit unterschiedlichen Wirkmechanismen und Wirkstärke, aber auch unterschiedlichen Anwendungsformen und Nebenwirkungen.

Basistherapien

Die Substanzen werden aufgrund ihres günstigen Nebenwirkungsprofils bereits am Beginn der Erkrankung eingesetzt und können eine signifikante Reduktion der Schübe (bis ca. 30%) und deren Auswirkungen bewirken.

Interferon-beta 1a (Avonex®)
6 MIU 1x/Woche, intramuskulär

Interferon-beta 1a (Rebif®)
6 MIU 3x/Woche oder 12 MIU 3x/Woche, subkutan

Pegyliertes Interferon-beta 1a (Plegridy®)
2x/Monat, subkutan

Interferon beta 1b (Betaferon®)
8 MIU jeden 2. Tag, subkutan

Wirkung:
Interferone wirken auf das Immunsystem modulierend und entzündungshemmend. Sie verringern sowohl die Schubrate als auch die Narbenbildungen im Gehirn.

Nebenwirkungen:
Interferone bewirken grippeähnliche Symptome unmittelbar nach den Injektionen. Diese können mit Gliederschmerzen, Schüttelfrost und Fieber einhergehen. Da empfohlen wird, die Injektionen am Abend zu verabreichen, sind diese Nebenwirkungen zumeist am nächsten Tag nicht mehr vorhanden. Ein weiteres Problem der Interferoninjektionen unter die Haut stellen rote Flecken, die sich an den Injektionsstellen entwickeln, dar. Diese können manchmal mehrere Tage bis Wochen bestehen bleiben und sind zumeist zwar kosmetisch störend, aber harmlos. Selten können sich aber aus diesen Flecken Nekrosen bilden, die dann sehr mühsam zu behandeln sein können.

Schwangerschaft und Stillzeit:
Die Therapie kann mit Eintritt der Schwangerschaft beendet werden. Bei aktiver MS kann unter Abwägung von Nutzen und Risiko die Therapie auch fortgeführt werden.
Es wird empfohlen die Therapie in der Stillzeit zu beenden.

Glatirameracetat (Copaxone®)
20µg 1x täglich subkutan

Wirkung:
Glatirameracetat besitzt ähnlich den Interferonen eine immunmodulatorische Wirkung. Es wirkt ebenfalls schubreduzierend, auch eine Unterdrückung der Narbenbildung wurde nachgewiesen.

Nebenwirkungen:
Es kommt häufig zu Rötungen und gelegentlich auch zu Verhärtungen an den Injektionsstellen. Selten kann es zu einer sofortigen Reaktion nach der Injektion mit Flush-Syndrom, manchmal mit Gefühl der Brustenge, Atemnot und Herzklopfen und Angstgefühlen kommen. Diese Beschwerden sind kurzdauernd, vorübergehend und völlig ungefährlich.

Schwangerschaft und Stillzeit:
Die Therapie kann mit Eintritt der Schwngerschaft beendet werden; ein Fortführen kann bei aktiver MS erwogen werden (Nutzen/Risiko-Abwägung).
Es wird empfohlen die Therapie in der Stillzeit zu beenden.

Teriflunomid (Aubagio®)
1x täglich, Tablette

Wirkung:
Das Medikament bewirkt eine Reduktion der Schübe durch einen entzündungshemmenden Effekt.Es wird auch ein schützender Effekt auf das Gehirn angenommen, da das Präparat möglicherweise die Bildung giftiger Stoffe (sog. freier Radikale) verringern kann. Die Reduktion der Schubrate ist vergleichbar jener der Interferon beta-Präparate.

Nebenwirkungen:
Die häufigsten Nebenwirkungen betreffen Magen-Darm-Beschwerden wie Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit und Erbrechen. Darüber hinaus kann es zu erhöhten Leberwerten, vorübergehender Haarverdünnung, Bluthochdruck und Hautrötungen kommen.

Schwangerschaft und Stillzeit:
Bei Kinderwunsch und Schwangerschaft muss Aubagio beschleunigt eliminiert werden bis Spiegel von <0.02mg/l liegen.
Stillzeit: Wirkstoff geht im Tierversuch in die Muttermilch über, humane Daten fehlen. Stillen wird nicht empfohlen.

Dimethylfumarsäureester (Tecfidera®)
2x täglich, Kapsel

Wirkung:
Der Substanz wird neben einem entzündungshemmenden auch ein die Nerven schützender Effekt zugeschrieben. Eine Reduktion der jährlichen Schubrate um 50 % konnte in zwei Studien nachgewiesen werden.

Nebenwirkungen:
Magen-Darm-Unverträglichkeit (Emesis, Nausea, Diarrhoe, Magenschmerzen), sowie Hitzewallungen und Flushes

Schwangerschaft und Stillzeit:
Bei Bekanntwerden der Schwangerschaft soll die Therapie abgesetzt werden.
Der Wirkstoff geht im Tierversuch in die Muttermilch über, humane Daten fehlen. Stillen wird nicht empfohlen.

Eskalationstherapien

Substanzen, bei denen eine höhere Wirksamkeit, aber auch ein höheres Risiko für das Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen besteht, oder aber bis dato nicht ausgeschlossen werden kann, kommen erst zum Einsatz, wenn weniger riskante Möglichkeiten ausgeschöpft sind.

Natalizumab (Tysabri®)
Infusion alle 4 Wochen

Wirkung:
Dieser erste monoklonale Antikörper behindert das Auswandern von Abwehrzellen durch die Blutgefäße in das Gehirn, wodurch die Entzündungsaktivität unterdrückt wird.

Nebenwirkungen:
Kopfschmerzen, Fatigue, Harnwegsinfekte, Depression, Infektionen.
Mit Natalizumab wird ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer PML in Verbindung gebracht. Das Risiko steigt mit zunehmender Behandlungsdauer an.

Schwangerschaft und Stillzeit:
Die Therapie kann bis zum Beginn der Schwangerschaft unter strenger Nutzen/Risiko-Abwägung fortgeführt werden; bei aggressiven Verläufen auch in der Schwangerschaft.
Die Substanz geht in die Muttermilch über, Stillen wird daher nicht empfohlen.

Fingolimod (Gilenya®)
1x täglich Kapsel 0,5 mg

Wirkung:
Der Wirkstoff verhindert den Ausstrom aktivierter Lymphozyten aus den Lymphknoten in das Blut. In weiterer Folge überwinden weniger Lymphozyten die Blut/Hirnschranke um dort ihren Angriff auf das Nervensystem zu starten.

Nebenwirkungen:
Infektionen der oberen Atemwege und der Harnblase, erhöhte Leberfunktionswerte und Reduktion der Lymphozyten im Blut, Blutdruckanstieg sowie vorübergehende Veränderung der Herzfrequenz – insbesondere in den ersten 6 Stunden nach der Einnahme.

Schwangerschaft und Stillzeit:
Die Therapie soll 2 Monate vor der geplanten Schwangerschaft beendet werden.
Die Substanz geht im Tierversuch in die Muttermilch über, es existieren keine humanen Daten, daher soll nicht gestillt werden.

Alemtuzumab (Lemtrada®)
Infusion an 5 aufeinanderfolgenden Tagen. Nach einem Jahr erfolgt eine Infusionsserie an drei aufeinanderfolgenden Tagen.

Wirkung:
Alemtuzumab ist ein monoklonaler Antikörper, der zu einer raschen und langandauernden Zerstörung der T- und B-Lymphozyten führt.
Neben der entzündungshemmenden Funktion scheint die Substanz auch eine anhaltende Änderung der Funktionsweise des Immunsystems zu bewirken, indem die neu gebildeten Zellen weniger aggressiv sind.

Nebenwirkungen:
Praktisch alle Personen erleiden Infusionsreaktionen wie Kopfschmerzen, Fieberschübe, Gelenkschmerzen, Emesis und Nausea. Daher wird standardmäßig eine entsprechende Begleitmedikation verabreicht. Darüber hinaus können sekundäre Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse, der Blutplättchen und der Nieren auftreten.
Um diese Nebenwirkungen rechtzeitig zu erkennen werden bis zu 5 Jahre nach der letzten Infusion monatliche Blut- und Harnkontrollen durchgeführt.

Schwangerschaft und Stillzeit:
Vor jeder Infusion muss ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Geplante Konzeption 4 Monate nach der Infusion.
Die Substanz geht im Tierversuch in die Muttermilch über, humane Daten fehlen. Stillen wird nicht empfohlen.

Daclizumab (Zinbryta®)
Fertiginjektion, subkutan 1 Mal/Monat

Wirkung:
Der Wirkstoff ist ein humanisierter monoklonaler Antikörper, der sich gegen eine spezifische Untereinheit des Interleukin-2-Rezeptors, das  Oberflächenprotein CD25, auf aktivierten T-Zellen richtet und somit immunmodulatorisch wirkt.

Nebenwirkungen:
Verschiedene, teils schwerwiegende Leberprobleme, schwere Hautreaktionen (auch unabhängig von der Injektionsstelle), Pneumonien, Infektionen Verdauungsprobleme und Depressionen.
Bei den seltenen Leber-und Hautstörungen liegt offensichtlich eine Überaktivität dieser natürlichen Killerzellen vor.

Schwangerschaft und Stillzeit:
Die Substanz wurde an 38 schwangeren Frauen mit MS untersucht. Es gab keine erhöhte Rate an Fehlgeburten und keinen Hinweis auf Geburtsdefekte. Die Anzahl ist jedoch zu gering um definitive Schlüsse zu ziehen.

Andere Intervalltherapien: (Therapien der 3. Wahl)

Mitoxandron (Novantron®, Ebexantron®)
Infusion alle 3 Monate

Wirkung:
Mitoxandron ist ein Zytostatikum, es hemmt die Zellteilung, die Bildung von Abwehrzellen wird vermindert und das Immunsystem wird auf diese Weise unterdrückt.

Nebenwirkungen:
Übelkeit, Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit, nach der Infusion kann es zu einer ungefährlichen bläulichen Verfärbung des Urins kommen.
Bei steigender Gesamtdosis ergibt sich ein zunehmendes Risiko einer Herzschädigung sowie ein später gehäuftes Auftreten von Tumorerkrankungen.

Vor jeder Infusion muss ein Schwangerschaftstest durchgeführt werden. Die Therapie soll 6 Monate vor geplanter Schwangerschaft von Frauen und Männern abgesetzt werden.
Die Substanz geht in die Muttermilch über, es soll nicht gestillt werden.

Cyclophosphamid (Endoxan®)
Infusion
Dosierung abhängig von der Krankheitsaktivität

Wirkung
Die Substanz hat ähnlich dem Mitoxandron stark immunsuppressive Eigenschaften.

Nebenwirkungen:
Emesis, Nausea, blutige Zystitis, vorübergehende Alopezie

Immunglobuline
monatliche Infusion

Wirkung:
Der Nutzen von Immunglobulinen bei Multipler Sklerose konnte nicht überzeugend nachgewiesen werden. Befürworter schreiben der Substanz einen möglichen positiven Reparatureffekt an den Nervenzellen zu, die Relevanz dieses Effekts ist auch bis heute unklar.

Nebenwirkungen:
Fieber, Kopfschmerzen, Nausea, extrem selten kann es zu Nierenversagen und Thrombosen kommen.

Azathioprin (Imurek®):
Tablette

Bei der Substanz handelt es sich um eines der ersten Immunsuppressiva. Sie galt zuerst als wirksam bis 1988 eine große placebokontrollierte Studie keinen signifikanten Effekt gegenüber Placebo nachweisen konnte. In jüngster Zeit erlebt Azathioprin eine gewisse Renaissance, seit Studien laufen, die einen möglichen Nutzen einer Kombinationstherapie mit Betaferon, Rebif oder Immunglobulinen vermuten.

Plasmapherese und Immunapharese/Immunadsorption

Dieses Verfahren kommt manchmal bei besonders aggressiven Schüben zum Einsatz, die auf eine herkömmliche Kortisontherapie nicht ansprechen.

(Autologe) Stammzellentransplantation

Aufgrund der gefährlichen Nebenwirkungen gilt die Stammzelltherapie derzeit als experimentelles und risikoreiches Therapieverfahren, das nur in speziellen Zentren und im Rahmen kontrollierter Studien durchgeführt werden sollte.

Kortison als Intervalltherapie

In einer Untersuchung an 88 Personen mit schubförmiger MS wurde einer Gruppe in regelmäßigen Abständen Kortison verabreicht, während die andere Gruppe Kortison als Schubtherapie erhielt. Über den Beobachtungszeitraum von 5 Jahren ergaben sich Vorteile der regelmäßigen Kortison Therapie hinsichtlich Schubrate, Behinderungsgrad und MRT-Parameter. Die Ergebnisse wurden angezweifelt, da die Studie nicht doppelblind angelegt war. Eine Bestätigung der Daten durch eine weitere Untersuchung steht noch aus.

Symptomatische Therapien

Symptomatische Therapien greifen nicht in den Krankheitsverlauf ein, sondern dienen dazu, durch positive Beeinflussung der jeweiligen Symptome die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Im Folgenden werden zu den oben genannten Symptomen jeweils kurz die Therapiemöglichkeiten beschrieben.

Ausführlicheres dazu finden Sie in den Literaturtipps auf der Website der MS-Gesellschaft Wien sowie in den 2004 erstellten Leitlinien zur symptomatischen Therapie der Multiplen Sklerose. Diese Therapieempfehlungen wurden von einer Konsensusgruppe österreichischer und deutscher MS-Expertinnen und -Experten festgelegt.